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Wissenschaftliche Reputation ist ein allgegenwärtiges Thema. Sie wird einerseits als Ausdruck herausragender akademischer Arbeit betrachtet, anderseits als selbst-referenzielles System mit unbegründeten Eigenlogiken kritisiert. Sie tritt als numerische Kennziffer in Erscheinung oder wirkt als symbolisches Kapital, das sich wechselseitig zwischen Forschungsinstitutionen, Verlagen, Forschenden und anderen Milieus transferieren lässt. Reputation ist – im akademischen Feld – eine omnipräsente Bewertungsschablone und möglicherweise als dessen Bedingung schwer greif- und systematisierbar. Versuche der Formalisierung, Standardisierung und Metrisierung von Reputation, um sie nachvollziehbar und rechenschaftsfähig zu machen, reduzieren angrenzende Kontroversen nicht. Vielmehr erhalten sie durch Evaluationen, Akkreditierungen und Exzellenzverfahren weitere Dimensionen.
Es ließe sich somit die Frage stellen, ob eine Kernfunktion von Reputation der Aufrechterhaltung notwendiger Auseinandersetzungen darüber dient, nach welchen Kriterien sich Wissenschaft als soziales Feld organisieren möchte. Das beinhaltet ungleiche Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit und asymmetrisch verteilte Möglichkeiten der Partizipation an den Kontroversen. Deshalb ist es notwendig, das Thema der Reputation in disruptiven Perioden wie der digitalen Transformation neu zu verhandeln. Das zeigt sich auch bei Akteuren, die diesen dynamischen Transformationsprozessen tendenziell kritisch gegenüberstehen. Denn sie stellen etablierte Strukturen und Praktiken in Frage, welche eine lange vertraute Stabilität von Wissenschaft gewährleisteten. Zugleich ermöglicht die Tagung den Digital Humanities, die sich technischen, epistemologischen und ethischen Potenzialen solcher Transformationsprozesse verschreiben, Reputation als Gradmesser für die noch zu leistende Arbeit zu verstehen, die notwendig ist, um den Weg vom Potenzial zu einer neuen, relativ stabilen Realität zu gehen. Sie sind dazu eingeladen, an den – mit emotionalen Befindlichkeiten aufgeladenen – Diskussionen über Reputation teilzunehmen und diese mitzugestalten. Als „Essenz“ (William D. Garvey) und „harte Währung der Wissenschaft“ (Joost Kirczs) sind digitale Publikationen dafür besonders geeignet. Auf der Tagung zum zehnjährigen Bestehen der AG Digitales Publizieren im Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd) mit Impulsvorträgen von Birgid Schlindwein, Ben Kaden und Gerhard Lauer möchten wir die folgenden Fragen diskutieren:
Durchgeführt wird die Tagung als Präsenzveranstaltung. Die Vorträge werden – vorbehaltlich der Zustimmung der Referierenden – aufgezeichnet und nach der Tagung online zur Verfügung gestellt.
Ausgearbeitete Versionen der Vorträge werden nach der Tagung in einem Open-Access-Sammelband bei Melusina Press publiziert.
Die Tagung wird begleitet von Radihum20 – den Digital Humanities Podcast. Hören Sie auch gerne in den letzten Folge, in der es über die Arbeit der DHd AG Digitales Publizieren geht.
Sie wollen über die Tagung in den sozialen Medien sprechen? Dann verwenden Sie gerne den Hashtag #DigPub24.
Dokumentation: https://pad.gwdg.de/Nik6i0uARBOjcQ87SXTbbA?edit
Der Vortrag erörtert Reputation als Verschränkung von Wissenschafts- und Medienpraktiken zur wechselseitigen Aufwertung durch verschiedene Parteien (wie Forschende und Verlage).
Grundsätzlich verstehe ich die Zurechnung von Reputation als Mechanismus zur Konzentration von Aufmerksamkeit, z.B. auf eine wissenschaftliche Publikation. Auch eine Forscherin, ein Institut oder eine Universität kann als mehr oder weniger reputiert gelten. Reputation wird erst virulent, wenn es ein Konkurrenzfeld, einen Markt gibt, aus dem ein Kandidat – oftmals unter Bedingungen knapper Ressourcen – ausgewählt werden muss. So können Forschende immer nur einen Artikel zur gleichen Zeit lesen, auf einen Lehrstuhl kann nur eine Person berufen werden usw. Die Zurechnung von Reputation unterstützt die Entscheidungsfindung, indem sie einen Kandidaten vorteilhaft aus dem Konkurrenzfeld hervortreten lässt – und zwar oftmals im Vorhinein, also ohne dass seine Leistung also solche bereits begutachtet ist. Reputation in diesem Sinne ist als Vertrauensvorschuss zu verstehen.
Wie können Forschende diesen Vertrauensvorschuss, von dem so viel abhängt, aufbauen? Besonders in den buchgetriebenen Geistes- und Sozialwissenschaften sehe ich die wesentliche Strategie darin, eine Nähe zu bereits Anerkanntem herauszustreichen oder zumindest zu suggerieren, etwa zu etablierten Forschenden oder intellektuellen Linien, Verlagen oder Institutionen. Das soll helfen, implizit oder explizit im Zusammenhang mit bereits erbrachten Leistungen aus der Vergangenheit gesehen zu werden. Die Wissenschaft als typischer Arbeitgebermarkt begünstigt es, Reputation als Indikator und Legitimation für Entscheidungen heranzuziehen. Auf relativ wenige attraktive (unbefristete) Stellen kommen üblicherweise zahlreiche Aspirantinnen. Noch verschärfter dürfte die Situation im Publikationswesen sein, wo unbewältigbare Mengen an Publikationen um die Aufmerksamkeit der Lesenden buhlen.
Reputation muss fortlaufend generiert, vermehrt und verwaltet werden. Dahinter steht ein Wechselspiel, bei dem sich die verschiedenen Parteien gegenseitig aufwerten. Im Vortrag möchte ich dieses Wechselspiel und die oftmals nur implizit anleitenden Prinzipien beispielhaft erläutern, etwa wenn ein Verlag eine neue Reihe etablieren will. Üblicherweise werden dafür etablierte Forschende als „Zugpferde“ eingespannt, die einerseits das intellektuelle Profil der Reihe nach Außen hin vertreten, andererseits für den Zugang von Publikationen sorgen (etwa durch betreute Dissertationen).
Der Vortrag widmet sich am Beispiel der Berufsbildungsforschung der Leitfrage, in welcher Beziehung Open-Access-Transformation und Reputation zueinander stehen. Dabei wird deutlich, dass im Gegenstandsbereich der Berufsbildungsforschung Widersprüche zu Tage treten, die vermutlich auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen zu beobachten sind.
Insbesondere können drei Widerspruchskonstellationen identifiziert werden: (1) So wird zum einen der offene Zugang zu wissenschaftlichen Fachpublikationen begrüßt, zum anderen wird das Thema Open Access aber mit Skepsis betrachtet, wobei Open-Access-Publikationen von den Forschenden häufig als weniger reputationsstiftend wahrgenommen werden. (2) In peer reviewten Journals zu veröffentlichen wird nach wie vor als zentraler reputationsstiftende Weg angesehen – unabhängig davon, ob diese open access erscheinen. Dabei ist aber auch evident, dass das Peer-Review-Verfahren unter vielerlei Gesichtspunkten problematisch ist und keinesfalls unwidersprochen als Garant für Qualität fungieren kann. (3) Schließlich wird die Nutzung sozialer Medien von den Forschenden als weiterer Aspekt der „Openess“ im Wissenschaftsbetrieb und als wichtiger Faktor zur Reputationsbildung wahrgenommen. Gleichzeitig werden soziale Medien von den Forschenden aber nur zurückhaltend genutzt und hinsichtlich ihrer reputationsstiftenden Funktion auch mit Skepsis betrachtet.
Diese drei Widerspruchskonstellationen werden empirisch fundiert durch drei Forschungsprojekte: (1) Das Thema Open Access in der Berufsbildungsforschung wurde in einem umfänglich angelegten Forschungsprojekt untersucht. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden vier Gruppendiskussionen mit jeweils fünf bis acht Autor/-innen der Berufsbildungsforschung durchgeführt und darauf aufbauend ein Onlinefragebogen an circa 5.000 Autorinnen und Autoren gesendet (Rücklaufquote 22 %). (2) Forscherinnen und Forscher aus dem Feld der Berufsbildung wurden bzgl. ihrer Einstellung zum Thema Peer Review als Qualitätssicherungsverfahren mit Hilfe eines Onlinefragebogens befragt. (3) Im Rahmen eines Promotionsvorhabens wird ethnografisch untersucht, inwieweit soziale Medien Bestandteil des beruflichen Alltags von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Berufsbildungsforschung sind und inwieweit soziale Medien aus Sicht der Wissenschaftler/-innen dem Aufbau wissenschaftlicher Reputation dienen können.
Der Vortrag schildert die drei Widerspruchskonstellationen anhand ausgewählter Ergebnisse aus den drei Forschungsprojekten und lädt zur Diskussion darüber ein, wie diese Widersprüche überwunden werden könnten.
Open-Access (OA)-Transformation und wissenschaftlicher Reputationserwerb schienen zunächst in einer nahezu unvereinbaren Beziehung zueinander zu stehen. Zielte die Open-Access-Bewegung doch auf den unmittelbar freien Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Demgegenüber ist der Erwerb wissenschaftlicher Reputation seit der Einführung des Peer-Review-Verfahrens mit den ersten wissenschaftlichen Zeitschriften im 17. Jahrhundert in vielen Disziplinen eng mit der erfolgreichen Publikation in begutachteten Zeitschriften verknüpft – und diese liegen heutzutage zumeist in den Händen von Verlagen, die den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen festlegen. In jüngerer Zeit haben Verlage digitale Geschäftsmodelle, häufig unter der Verwendung von Autorengebühren für die OA-Publikation, entwickelt. Das Aufkommen von oft wissenschaftsgeleiteten, digitalen Repositorien für Preprints erweitern die Bandbreite an Veröffentlichungsoptionen und stellen Alternativen zu traditionellen und OA-Verlagen dar.
In diesem Zusammenspiel digitaler Publikationswege stellt sich die Frage, welche Anpassungsreaktionen der Forschenden diese Entwicklungen hervorgerufen haben. Welche Rolle spielt die intrinsische Motivation, etwas Neues herauszufinden, zu diskutieren und bekannt zu machen vor dem Hintergrund der jüngeren Entwicklungen der Open-Science-Bewegung? Wird die extrinsische Motivation, des Reputationserwerbs, noch verstärkt durch den Anreiz, eigene Ressourcen für Publikationen aufbringen zu müssen? Nimmt die Bedeutung bibliometrischer Maßzahlen für den Reputationserwerb noch weiter zu? Warum veröffentlichen Forschende Preprints, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten?
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann dazu beitragen, die Beziehung zwischen Open-Access-Transformation und wissenschaftlichem Reputationserwerb zu charakterisieren. Dazu sollen Forschungsergebnisse aus dem Projekt OASE (https://www.zbw.eu/de/forschung/web-science/oase) und einem Dissertationsprojekt zum Publikationsverhalten von Forschenden der Volkswirtschaftslehre im Kontext der Digitalisierung gemeinsam vorgestellt und diskutiert werden.
Literatur
Biesenbender, K., Toepfer, R., & Peters, I. (forthcoming). Life scientists' experience with posting preprints during the COVID-19 pandemic. Scientometrics (accepted).
Biesenbender, K., Smirnova, N., Mayr, P., & Peters, I. (2024). The emergence of preprints: comparing publishing behaviour in the Global South and the Global North. Online Information Re-view (online first). https://doi.org/10.1108/OIR-04-2023-0181
Fraser, N., Mayr, P., & Peters, I. (2022). Motivations, concerns and selection biases when posting preprints: A survey of bioRxiv authors. PLoS ONE, 17(11).
Fraser, N., Momeni, F., Mayr, P., & Peters, I. (2020). The relationship between bioRxiv preprints, citations and altmetrics. Quantitative Science Studies, 1(2), 618–638.
Berlin Universities Publishing (BerlinUP) ist der gemeinsame Universitätsverlag der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. BerlinUP möchte bewusst eine Alternative zu gewinnorientierten, kommerziellen Wissenschaftsverlagen bieten und setzt auf ein für Publizierende und Lesende kostenfreies Publikationsmodell für Bücher und Zeitschriften im Sinne von Diamond Open Access.
Als junger Verlag, der seine offizielle Eröffnung im Herbst 2023 feierlich beging, setzt BerlinUP auf hohe Qualitätsanforderungen, um sich mit wissenschaftsgeführten Publikationsinfrastrukturen in der kompetitiven Landschaft des wissenschaftlichen Publizierens zu etablieren. Dabei stellt BerlinUP die Interessen der Wissenschaft in den Vordergrund und engagiert sich für eine Abkehr von ausschließlich quantitativen Indikatoren zur Bewertung wissenschaftlicher Qualität, einschließlich dem Ranking von Publikationsorganen und Verlagen.
In der Präsentation werden Strategien des Reputationsaufbaus bei BerlinUP vorgestellt, die sich mit unterschiedlichen Aspekten befassen wie Governance, Werte, Qualitätssicherung, Kommunikation, Branding, Kooperation und Nachhaltigkeit. Einen Schwerpunkt bilden dabei die formalen, technischen, inhaltlichen und ethischen Kriterien der Qualitätssicherung für wissenschaftliche Publikationen.
Eine besondere Herausforderung stellt für Diamond-Open-Access der effiziente Ressourceneinsatz dar. Daher muss die strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung von Infrastrukturen und Services zum wissenschaftlichen Publizieren von Anfang an im Rahmen von nationalen, europäischen und internationalen Open-Research-Initiativen verortet werden. BerlinUP möchte dazu seine bisherigen Erfahrungen teilen sowie künftige Planungen zur Diskussion stellen.
In Portalen der Wikimedia-Bewegung gibt es keine Bezahlschranke, weder für Wikipedians (und andere Wikimedians), noch für (wissenschaftliche) Publikationen – schon gar nicht für die Metadaten.[2] Dieses Freie Wissen steht unter offenen Lizenzen, wird von Freiwilligen produziert, gepflegt, verknüpft und genutzt. Die Software MediaWiki[3] erlaubt einfaches und rasches Veröffentlichen von Wissen, es macht deren Entstehung und Veränderung durch Versionsgeschichten nachvollziehbar und durch Diskussionsseiten wird Wissen für jede:n annotierbar. Als grassroots open access bezeichnete LIBREAS in ’Library Ideas #44’ derartige Praxis.[4]
Wikipedia: “Reputation bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch das Ansehen einer Person, einer sozialen Gruppe oder einer Organisation.”[5] Wir können die Informationsinfrastruktur und -kultur, die digitalen Werkzeuge und die Daten des Wikiversums dazu nutzen, um Wissen zu veröffentlichen, zu aktualisieren und anzureichern und damit gleichzeitig direkt wie indirekt Reputation beeinflussen: Indirekt in dem offene Belege aus Literatur und Praxis Anerkennung für die Veröffentlichenden schaffen; direkt indem Ansehen wächst, wenn wissenschaftliche Erkenntnis, Studienergebnisse und Quellensammlungen[6] nicht in Form wissenschaftlicher Artikel, sondern im Wikiversum offen, 'flach' und oft anonym veröffentlicht werden.
Diese Tätigkeiten, Inhalte, offenen Versionsgeschichten, Linkzusammenhänge und Datenabfragen beeinflussen ‘Reputation’ – das Ansehen derer, die Wissen edieren und editieren: Einzelpersonen, Gruppen, Gemeinschaften und Organisationen.
Reputation generierendes Publizieren im Wikiversum – Arbeitsweisen und Paradigmen ohne Paywall
Wikipedia-Artikel sind Reputationsmaß
- Wissenschaftliche Arbeiten sind Belege in Wikipedia-Artikeln und begründen diese.
- Wikipedia-Artikel generieren Reputation für Wikipedianer:innen innerhalb von Wikimedia-Gemeinschaften und außen, z.B. durch Schreibwettbewerbe.
Offene Metadaten für eigene Projekte und Publikationen
- Demokratisierung der Metadatenproduktion und -pflege[7]
- Visualisierung von Wissensnetzen mit offenen Daten und Scholia [8]
Wikiversity ist Publikationsplattform
- Pre- und Postprintserver Wikiversity oder Veröffentlichung eigener Arbeiten im Wiki-Project “Wiki-Journal” für Erstveröffentlichungen [9]
- Entwicklung von Lehrmaterialien (OER) mit Studierenden und Wikiversity.
Zugriffszahlen
- Zugriffsstatistiken von Wiki-Seiten (Dokumente, Artikel, Medien) sind transparent. [10]
- Individuelle Beitrags- und Nutzungszahlen schaffen Anerkennung.
Mit offenen Publikationsprozessen kann Potential für Relevanz und Reputation an vielen Punkten entlang der Wissensproduktion wachsen. Wissenschafts- und Wissenskommunikation mit offenen Daten und Metadaten schafft Gelegenheiten, um die Wahrscheinlichkeit für Anerkennung zu erhöhen. Der Beitrag setzt sich mit der
Vielfalt an Möglichkeiten zur Publikation von Wissen im Wikiversum auseinander und zeigt, dass Wiki-Beiträge unterschiedliche Formen der Anerkennung innerhalb wie außerhalb der Communities erzeugen.
Referenzen
1. Jens Bemme und Christian Erlinger: Offene Metadaten für eigene Texte, Projekte und Publikationen: Shift happens – mit Scholia und digitalen Editionen. SLUB Open Science Lab. Abgerufen am 6. März 2024, von https://doi.org/10.58079/sl3i
2. Das Wikidata-Item dieses Abstracts ist (Q124758688), mit Links der Referenzen.
3. https://www.mediawiki.org/.
4. LIBREAS #44 (2023) | Grassroots Open Access, https://libreas.eu/ausgabe44/inhalt/.
5. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reputation&oldid=234449650.
6. https://de.wikisource.org/.
7. Jens Bemme: Eigene Metadaten für eigene Blogposts – Wissenschaftskommunikation und Bibliografien mit offenen Daten und Wikidata, Redaktionsblog. 9. November 2021, https://doi.org/10.58079/tdyj.
8. https://scholia.toolforge.org/.
9. WikiJournal Preprints sowie https://de.wikiversity.org/wiki/Kategorie:Preprint.
10. https://pageviews.wmcloud.org/, hier: https://pageviews.wmcloud.org/?project=de.wikiversity.org&platform=all-access&agent=user&redirects=0&range=latest-20&pages=Projekt:Reputation_ohne_Paywall_(2024).
Bologna-Reform, Exzellenz-Initiative, Open Access – in den letzten 25 Jahren ist eine tiefgreifend veränderte sowie zunehmend „wettbewerblich bestimmte[…] Universitätslandschaft“ mit „marktähnliche[n] Regeln“ zu beobachten. Eines der wichtigsten Erfolgskriterien in diesem Wettbewerb ist die Attraktivität von Forschungseinrichtungen, Forschungsprojekten sowie einzelnen Forschenden mit ihren Forschungsansätzen für Studieninteressierte, Nachwuchswissenschaftlerinnen, (potenzielle) Projektpartnerinnen und andere Stakeholder. Dabei führen nicht nur Leistungssteigerungen zu einer höheren Attraktivität, sondern auch eine höhere Attraktivität zu Leistungssteigerungen, weil „Talente, Ressourcen und Motivation“ angezogen werden – ein Engelskreis.
Open-Access-Publikationen erhöhen wesentlich die Sichtbarkeit von Forschungsleistungen und damit ihre Bekanntheit. Diese wiederum hat einen positiven Einfluss auf das Image und die Reputation der Forschenden und ihrer Arbeit, die sich beide positiv auf die Attraktivität auswirken. In diesem Vortrag wird – vor dem Hintergrund betriebswirtschaftlicher, psychologischer und kommunikationswissenschaftlicher Ansätze – eine Prozesstheorie entwickelt, die die Entstehung von Forschungsattraktivität erklärt und dabei die Konzepte Image und Reputation ins Zentrum des Interesses stellt. Dabei soll insbesondere der Unterschied zwischen kognitiven Bewertungsurteilen und affektiven Zuschreibungen diskutiert werden. Darüber hinaus sollen Ergebnisse aktueller empirischer Studien herangezogen werden. Vielleicht wird dann verständlich, warum 2018 in einer repräsentativen Umfrage unter deutschen Wissenschaftler*innen sämtlicher Fachdisziplinen die „Anzahl der Beiträge“ als wichtigster Faktor für wissenschaftliche Reputation auf dem ersten Platz landete, gefolgt von der „Relevanz der publizierten Ergebnisse“.
2005 erschien “Die Vermessung der Welt” von Daniel Kehlmann und stellte die Frage nach der Ver-messenheit dieses Unterfangen in seinem historischen Kontext. Übertragen auf das heutige Wissenschaftssystem sollen in diesem Beitrag die Grenzen und Potenziale etablierter bibliometrischer Verfahren im Fokus stehen und kritisch hinterfragt werden, welche Alternativen sich zur Bewertung wissenschaftlicher Leistungsbewertung anbieten.
Themen, die dabei diskutiert werden sollen, sind unter anderem der Zusammenhang zwischen der zunehmenden Digitalisierung und Leistungsmessung in der Wissenschaft vor dem Hintergrund der Ökonomisierung derselbigen, verschiedene “Stolperfallen” quantitativer Metriken, insb. klassischer bibliometrischer Methoden, und inwieweit ihre anhaltende Dominanz der grundlegenden Transformation zu einem wissenschaftsgeleiteten, auf Open Science-Kriterien basierenden Publikationssystem entgegensteht.
Es soll erstens argumentiert werden, dass der Fokus auf bibliometrische Kennzahlen, wie h-Faktor oder Impact Factor, insbesondere hochpreisige Open-Access-Angebote kommerzieller Akteure stärkt und der Etablierung von offenen Alternativen (Stichworte: Diamond Open Access, nicht kommerziell, scholarly owned) im Wege steht. Dazu kommt, zweitens, dass durch die Etablierung quantitativer, metrikbasierter Verfahren der Forschungsevaluation, disziplinäre Unterschiede der Publikationslandschaft aus der Sicht zu geraten drohen, die Wahlfreiheit der Wissenschaftler*innen einschränkt wird und globale Ungleichheiten verstärkt werden. Hierdurch steigert sich die Gefahr, bestehende Biases zu verstärken. Drittens wird argumentiert, dass der Fokus auf etablierte bibliometrische Verfahren der Diversifizierung der Publikationslandschaft und der Forschungsprodukte und anderen Neuerungen im Wege steht (Streamlining).
Diese Fragenkomplexe sollen vor dem Hintergrund relevanter europäischer und globaler Initiativen, wie z. B. DORA oder CoARA, dargestellt und Optionen aufgezeigt werden, warum und wie das klassische Publikations- und Reputationssystem entflochten werden könnten, und welche Perspektiven, aber auch Herausforderungen, sich bei der Aufgabe quantitative Metriken durch qualitative Kriterien zu ersetzen, eröffnen. Denn auch bei der Entwicklung neuer Kriterien muss immer wieder abgewogen werden, inwieweit neue Hürden oder Biases erzeugt werden. Momentan wird es zwar immer einfacher, Zitationen zu zählen, aber noch ist es schwer, den sogenannten Impact qualitativ zu messen oder gar etwas über den Einfluss auf die Gesellschaft auszusagen.
Als innovatives, den Open-Science-Grundsätzen verpflichtetes Forschungsperiodikum veröffentlicht die Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften seit 2015 Beiträge an der Schnittstelle von geisteswissenschaftlicher und digitaler Forschung. Von Beginn an wurden zwei unterschiedliche Review-Verfahren (Closed Peer Review und Open Peer Review) angeboten, die seit 2021 durch ein drittes, öffentliches Begutachtungsverfahren (Open Public Peer Review) ergänzt werden. Die Entscheidung, welches der Reviewverfahren zur Anwendung kommen soll, liegt hierbei bei den Autor*innen (author’s choice).
Neben der erhöhten Transparenz der redaktionellen und inhaltlichen Qualitätssicherung wird häufig auch ein Reputationsgewinn für die Reviewer*innen als Argument für die Öffnung von Qualitätssicherungsverfahren ins Feld geführt. Außer Acht gelassen wird hierbei aber meist, dass es keine einheitliche Definition von „Open Peer Review“ gibt und dieser Begriff häufig als Schlagwort ohne weitere Erläuterung gebraucht wird – Tony Ross-Hellauer etwa unterscheidet 7 unterschiedliche Dimensionen der „Offenheit“ bei Open-Peer-Review-Verfahren, die bei der ZfdG (und anderen Journals) nur teilweise umgesetzt werden.[1]
Im ersten Teil des Vortrags möchte ich deshalb auf die konkrete Umsetzung des Open [Public] Peer Reviews bei der ZfdG eingehen und mögliche Weiterentwicklungen hin zu noch mehr Offenheit skizzieren. Der zweite Teil soll einer Umfrage unter den bisher für die ZfdG tätigen Reviewer*innen gewidmet sein. Leitfragen sind hierbei: Inwiefern dient gutachterliche Tätigkeit dem Reputationsgewinn? Inwiefern unterstützt die Öffnung von Qualitätssicherungsverfahren die Möglichkeit, Reputation zu erwerben? Welche Aspekte der Offenheit sind hierbei besonders relevant?
[1] Vgl. Tony Ross-Hellauer: What Is Open Peer Review? A Systematic Review. In: F1000 Research 2017, 6:588. 27.04.2017. Version 2.0 vom 31.08.2017, S. 7. DOI: 10.12688/f1000research.11369.2; vgl. auch Yuliya Fadeeva: Qualitative Sprünge in der Qualitätssicherung? Potenziale digitaler Open-Peer-Review-Formate. In: Fabrikation von Erkenntnis – Experimente in den Digital Humanities. Hg. von Manuel Burghardt, Lisa Dieckmann, Timo Steyer, Peer Trilcke, Niels Walkowski, Joëlle Weis, Ulrike Wuttke. Wolfenbüttel 2021. (= Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften / Sonderbände, 5). 01.09.2021. Version 2.0 vom 21.03.2023. HTML / XML / PDF. DOI: 10.17175/sb005_002_v2.
Reputation ist für eine wissenschaftliche Karriere im deutschen Wissenschaftssystem zentral. Durch Reputation wird die eigene Arbeit aufgewertet, sie wird verwertbar auf dem eng zulaufenden und stark durch die sogenannte "Bestenauslese" geprägten Weg in Richtung Entfristung, Professur und (inter-)nationalem Ansehen.
In einem solchen akademischen Ökosystem, das von neoliberalen Logiken der Karriere und des Fortschritts durchdrungen ist, fordern wir eine radikale Abkehr von Reputation, Verwertung und isolierender Konkurrenz. Angesichts kollektiver Herausforderungen brauchen wir eine Wissenschaft, die Kooperation und Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Unser Ansatz: eine anarchistische Wissen(schaft)spraxis, basierend auf Offenheit und kollektiver Autonomie, als Gegenentwurf zum herrschenden Paradigma.
Die aktuelle Wissen(schaft)spraxis leidet unter Wettbewerb und Exklusivität. Große Verlage monopolisieren Wissen, während ein Kult der "einsamen Exzellenz" und die Angst vor dem Teilen von Daten die Wissenschaftsgemeinschaft fragmentieren. Solche Mechanismen widersprechen nicht nur den Zielen der Wissensentwicklung, sondern untergraben auch die Integrität guter wissenschaftlicher Praxis.
In unserem Denkanstoß skizzieren wir eine neue Wissen(schaft)spraxis, die:
- Autorität dezentralisiert, hierarchische Strukturen zugunsten flacher, dezentraler Organisationsformen aufhebt;
- Forschungspraktiken fördert, die auf Zusammenarbeit basieren;
- offene Plattformen für die Veröffentlichung und Diskussion wissenschaftlicher Arbeiten nutzt;
- alle Formen des Wissensbeitrags anerkennt, von traditionellen Publikationen bis zu digitalen Medienformaten.
Darüber hinaus diskutieren wir Strategien zur Überwindung von Widerständen innerhalb der bestehenden Wissenschaftsinfrastrukturen.
Unser Aufruf zum Handeln zielt darauf ab, die wissenschaftliche Gemeinschaft von der Macht neoliberaler Indikatoren zu befreien und eine Kultur der Zusammenarbeit zu fördern. Eine post-reputationale Perspektive auf Wissenschaft, die Nachhaltigkeit, Inklusivität und kollektives Wohlergehen betont, kann zu einer ethischen Wissenschaftspraxis beitragen, die kollektiven Erkenntnisgewinn und gegenseitige Unterstützung über Verwertungszwänge und spätkapitalistischen Produktionsdruck stellt.